Stumm begann die Sonne, den Tag mit ihrem Licht zu erhellen, während die Maschinen der dunklen Fabrik von Vadims Vater schon seit Stunden lärmten.
Vadim kam später als alle anderen, die dort arbeiteten, zur Arbeit. Sofort forderte sein Vater ein ernstes Gespräch mit ihm. Er führte ihn in eine stille Kammer.
Vadim Stelyr war entlassen. Er war arbeitslos.
Er hatte kein Geld.
Er hatte keine Zukunft.
Er hatte keinen Namen.
Aber er hatte Freiheit.
Durch ein kleines Fenster in der Fabrik konnte Ilona Szabados sehen, wie er außerhalb der Fabrik herumschlenderte. Sie ließ die Maschine stehen und bewegte sich zum Fenster.
Vadim schien kein Ziel zu haben. Er lief lediglich auf und ab. Der heutige Tag war sonnig, anders als der gestrige, der windig gewesen war.
Ilona winkte Vadim durch das Fenster zu. Er hatte sich inzwischen auf die Sitzbank im Innenhof gesetzt. Vadim kniff die Augen zusammen. Die Strahlen der Sonne waren blendend hell. Vadim rückte seinen Hut tiefer ins Gesicht. Ilona beobachtete ihn weiter. Sie öffnete das Fenster und lehnte sich nach draußen.
Ilona zuckte zusammen. Der Direktor der Fabrik stand hinter ihr. Sofort nahm Ilona wieder ihren Platz an dem Gerät ein. Der Direktor, Vadims Vater, war ein gedrungener Mann von kleiner Größe. Er trug eine kleine, gräulich- silberne Brille, die sein Äußeres enorm veränderte. Sein bereits ergrautes Haupthaar war gelichtet. Er griff sich mit der großen Hand ans Kinn. "Was haben Sie da gerade gemacht?", fragte er mit skeptischer Stimme.
"Ich habe Ihren Sohn gesehen! Er ist nicht hier, sondern dort draußen!" Ilona warf einen Blick durch das Fenster.
Der Direktor lachte kurz auf. Ilona sah ihn verwirrt an.
"Vadim ist sehr befugt. Ich habe ihn soeben entlassen!", erklärte Vadims Vater und bekam erneut einen Kicheranfall. Doch er wurde schnell wieder ernst. "Jetzt arbeiten Sie aber!", ordnete er schließlich an.
"Jawohl, Herr Direktor" Ilona betätigte wieder ihre Maschine. Und mit einem Mal kam ihr die Arbeit in dieser Fabrik staubiger vor denn je. Sie merkte, dass ihr in Wahrheit nicht viel daran lag, ob die Fabrik erhalten blieb oder nicht. Während sie weiter kurbelte, spähte Ilona aus dem Fenster zu Vadim. Er saß noch immer im Innenhof auf der Bank, den Hut tief ins Gesicht gezogen.
Doch trotz des Hutes, der sein Gesicht verbarg und in verdunkelnde Schatten hüllte, konnte Ilona erkennen, wie ein Lächeln über seine Lippen huschte.
Ilona ließ ihre Maschine wieder stehen. Sie streckte ihren Kopf aus dem Fenster. Die frische Luft strömte ihr entgegen. Sie seufzte.
Dann begab sie sich endgültig zu ihrer Maschine.
Vadim erhob sich von der Bank. Die Sonne schien noch immer blendend hell am Himmel, doch dieser Gewalt musste sich Vadim wohl oder übel fügen. Er entzog sein Gesicht dem Schatten seines Hutes. Vadim schaute gen blauen Himmel, wo die Wolken vorüberzogen und den Blick auf die Sonne, die gnadenlos auf die Stadt herabbrannte, freiließen. Er senkte seinen Blick wieder.
Und so verging jener Tag und das Krähen der Hähne des benachbarten Dorfes am Rande der Stadt, der einsetzende Lärm der Maschinen und die weiteren Zeichen, mit denen sich der Morgen auszuzeichnen wusste kündigten den neuen an.
Vadim ging zum Markt. Wirklich etwas zu kaufen, hatte er jedoch nicht vor.
Er sah zu, wie das Marktleben wieder seinen Lauf nahm. Er beobachtete, wie die Verkäufer ihre Waren preisten und für sie warben und die Käufer sich davon beeinflussen ließen, oder das Werben jedoch ignorierten.
Leider entging seiner Aufmerksamkeit, dass er verfolgt wurde; Katalin schlich ihm hinterher. Vorerst blieb sie ungesehen, bis es schließlich Schlag auf Schlag ging: Katalin stolperte über ein Bein, welches sich ihr versehentlich in den Weg gestellt hatte. Sie versuchte, den Sturz abzufangen, doch es war zwecklos. Unwillkürlich landete sie auf den leicht verderblichen Waren eines Gemüsehändlers. Das Gemüse rollte aus den Kisten und es gab einen gewaltigen Krach, den Katalin nun mit diesem Chaos angerichtet hatte. Zudem waren der Händler und seine Käufer ärgerlich geworden.
Katalin entschuldigte sich und räumte das Gemüse wieder ein, allerdings war nicht mehr viel zu retten: Die Schaulustigen hatten das meiste bereits mit den Füßen ungenießbar gemacht. Der betroffene Gemüseverkäufer schrie wild. Anschließend wurde Katalin wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses in das Gefängnis versetzt. Dort wurde sie von dem Untersuchungsrichter dessen belehrt, eine große Dummheit begangen zu haben.
Eine Nacht nach dem Geschehen war sie wieder in die Freiheit entlassen worden, den scharfen Tonfall des Richters jedoch nicht zu überhören. Außerdem musste sie dem Gemüsehändler noch das abhandengekommene Gemüse bezahlen.
Tags darauf war der Skandal wie abgeschlossen, doch der Grund, weshalb sie überhaupt zum Markt gegangen war, blieb ungeklärt.
"Guten Tag! Sagen Sie mir eins: Was haben Sie gestern auf dem Markt getrieben? Etwas kaufen wollten Sie ja bestimmt nicht, sonst hätten Sie das ja getan.", fragte Katalin schließlich, welches das beantwortete.
"Nein... Ich wollte auch nichts kaufen! Ich habe das Treiben beobachtet...", antwortete Vadim verwirrt.
"Auch gut... Aber sagen Sie mal, müssten Sie nicht eigentlich in der Fabrik sein, arbeiten?" Katalin legte den Kopf schief.
"Sie haben Recht. Ich müsste dort sein."
"Aber warum sind Sie denn dann nicht dort?" Katalin hob die Augenbrauen.
Vadim schluckte. Er richtete nervös seinen Hut.
"Jetzt sagen Sie schon! Es wird schon wohl nicht so schlimm sein. Reden Sie!"
"Ich... wurde gekündigt."
"Aber warum wurden Sie denn gekündigt?"
"Wegen Ihnen.", beeilte sich Vadim zu sagen. Ihm war unangenehm, wie sie ihn ausfragte und gab ihr also eine Antwort, die sie nicht begreifen würde.
"Weshalb wegen mir?"
"Ich bin doch zu Ihnen gegangen, um Ihnen den Strauß für Ihre Schwester zu geben!"
"Das war doch nicht meine Schuld." Katalins Stimme hatte einen kläglichen Ton und ihr ovales Gesicht eine schiefe Lage angenommen, außerdem eine gequälte Miene mit gespitzten Lippen, krausgezogener Nase und verständnislosem Blick.
Vadim sah sie an. Er musste sich nun entscheiden. Was würde er antworten? Würde er ihr entgegnen oder zustimmen? Auf welche der Hälften seines gespaltenen Herzens sollte er hören? Er sah sich ratlos um. Und schließlich fasste er den Entschluss. "Nein.", sagte er. Vadim strich seine Ärmel glatt. Sein Blick wanderte unsicher hin und her.
"Was wollen Sie jetzt tun? Haben Sie etwas vor?", fragte Katalin schließlich.
Vadim wusste nicht, was er ihr erwidern sollte, denn in Wirklichkeit hatte er keinen Plan, was er nun tun würde. Er räusperte sich, um etwas zu sagen, das ihm spontan vielleicht in den Sinn kommen würde, doch ihm viel nichts ein und so schwieg er. Denn die Vorstellung, sich weiterhin mit ihr zu unterhalten, gefiel ihm nicht ganz.
"Nun gut." Katalin sah sich um.
Vadim nahm ihr Gesicht unter die Lupe. Sie hatte genau das ovale Gesicht und die markante Nase wie Ilona, ihre Augen waren auch wie ihre grün. Sie hatte dieselbe blasse Haut, im Grunde unterschieden sich nur ihre nah an den Augen liegenden Augenbrauen von denen von Ilona, außerdem war sie ein Stück größer und war kräftiger gebaut.
"Habe ich irgendetwas im Gesicht?", fragte sie anschließend. Vadim überhörte den schneidenden Unterton aus einer Mischung von Sarkasmus und Beleidigung in ihrer Stimme nicht.
Katalin tastete mit der Hand ihr Gesicht ab. Sie wusste, dass Vadim sie nicht hatte aus bösem Willem angestarrt, doch das wusste sie in seiner Anwesenheit natürlich unter einer skeptischen Schale nur zu gut zu verbergen.
"Nein, nein. Es ist alles gut mit Ihrem Gesicht.", beeilte sich Vadim zu sagen. Er schaute schnell weg. Sein Blick fiel auf den Himmel.
Die Wolken verdunkelten sich.
Es begann, zu nieseln. Der Regen wurde immer stärker.
"Ein Gewitter zieht auf!", stellte Katalin fest. Sie hatte keinen Schirm. Das verwunderte Vadim. Nicht mal einen Sonnenschirm! Seltsam.
Doch er sinnierte nicht weiter argwöhnisch vor sich hin. Vadim fuhr seinen Schirm aus. Plötzlich riss der aufkommende Wind seinen Hut mit sich.
"Halten Sie den Schirm!", rief Vadim und rannte seinem Hut nach.
Als er ihn endlich gefangen hatte, drehte sich Vadim zu Katalin um. "Sind Sie heil?", fragte er, doch dann bemerkte er, dass Katalin verschwunden war. Er sah sich ratlos um, während der Sturm weiter tobte.
Wo war Katalin?
Eine Frage schoss ihm wieder und wieder durch den Kopf.
Wo war sie?
Und was hatte sie mit seinem Schirm angestellt?
Vadim rannte durch das Gewitter zu Katalins Wohnung, während ein weiteres aufzog. In ihm tobte es. Er spürte Wut, außerdem Besorgnis, Verzweiflung und einige, wenn auch von den Anstürmen letzterer Gefühle gedämpte Funken der Liebe.
Er klingelte.
Nach einer Weile öffnete ihm László.
Als dieser realisierte, dass es sich um Vadim handelte, fragte er grimmig mit seinem unüberhörbaren ungarischen Akzent: "Was wollen Sie hier?"
"Katalin... ahem ... Ihre Schwester ist nicht hier?", keuchte Vadim. Das Blut schoss ihm ins Gesicht.
"Nein, sie ist nicht hier. Nein." László schüttelte den Kopf.
Vadim nickte. "Auf Wiedersehen", sagte er, dann rannte er wieder davon. Argwöhnisch sah ihm László nach. Dann schloss er langsam die Tür.
"Katalint a keresztnevén szólította. Nagyon gyanús személy.", murmelte er.
Der Sturm tobte weiter. Aber davon konnte Vadim sich jetzt nicht aufhalten lassen.
Wo war Katalin?
Was hatte sie mit Vadims Schirm angerichtet?
Warum ist sie abgehauen?
Vadim blieb vor einem Lokal stehen. Die meisten anderen dieser Gegend hatte er schon durchkämmt. Erfolglos.
Er trat ein. Höchstwahrscheinlich hatte sich Katalin in ein solches verzogen. Wenn er ein solcher Verräter wäre wie sie und nicht hätte mitten im Regen stehen wollen, welches durch den Schirm eigentlich möglich gewesen wäre, hätte er dies getan. Vadim sah sich um.
Dort saß sie! Aus einer hinteren Ecke sah er ihren Kopf lugen. Ihr schief gelegtes Gesicht erkannte er sofort. Ihr verschmitztes, verstohlenes, eine Spur finsteres, und doch unheimlich hübsches Lächeln, ihren seitlich nach oben gewinkelten Blick, der in ihren großen, schwarzbraunen, von dunklen, langen, nordöstlich zugespitzten Wimpern gesäumten Augen lag, ihre breite, wohlgeformte Silhouette mit der hohen Taille. Katalin war unverkennbar. Vadim ging zum Tisch, an dem sie saß.
"Was tun Sie hier? Mit meinem Schirm?", fragte er und bemühte sich, während er sich fragte, weshalb er das tun musste oder wieso er es andererseits tat, vorwurfsvoll, ernsthaft und feindlich zu klingen.
Katalin zögerte damit, etwas zu sagen.
Vadim wiederholte seine Frage.
Katalin legte den Kopf schief, so wie sie es immer tat und schaute ihm in die braunen Augen.
Vadim wich ihrem Blick aus. "Geben Sie mir sofort den Schirm!", forderte er ernst, "Wie Sie vielleicht sehen, bin ich vollkommen durchnässt!"
Langsam gab ihm Katalin lächelnd den Schirm. "Wollen Sie sich nicht auch hinsetzen?", fragte sie.
"Ungern", gab Vadim zu bedenken. "Was tun Sie hier?", hakte er dann nach.
"Was ich hier tue?" Leichte Belustigung mischte sich in ihre Stimme.
"Genau, was Sie hier tun." Dieses Mal war es Ernsthaftigkeit. Hartnäckige, förmliche, regelrecht kritische Ernsthaftigkeit.
"Ich habe Sie hier erwartet" Von sich überzeugte Selbstverständlichkeit.
"Erwartet?! Sie haben sich einfach so auf- und davongemacht! Da kann ich leider nur sagen: Von wegen 'Erwartet'!" Die Wut, Fassungslosigkeit und der Drang nach Gerechtigkeit siegten nun völlig über Vadim.
"Ich habe ja gedacht, Sie würden ihren Hut schon gefangen haben und würden mir folgen"
Vadim schloss die Augen, fasste sich mit der Hand an die Stirn und schüttelte den Kopf.
Katalin sah ihn erwartungsvoll an.
"Zumindest den Schirm hätten Sie mir ja lassen können!", sagte Vadim, während er sich von ihr abwandte.
"Bleiben Sie nicht?", fragte diese.
Vadim verlor die Kontrolle. Er beschleunigte enorm den Schritt. "Wiedersehen!", rief er laut im rennen.
Er schloss geräuschvoll die Tür hinter sich.
Katalin bezahlte und rannte ihm dann hinterher.
"Warten Sie doch!", schrie sie.
Am nächsten Tag lief Vadim wieder durch die Stadt. Endlich hatte er ein Ziel: Geld.
Das Problem war nur, dass er nicht wusste, wo er welches auftreiben konnte.
Plötzlich stand Katalin hinter ihm. "Guten Tag!", flötete sie. Vadim drehte sich ruckartig zu ihr um. "Ebenfalls", sagte er. Dann ging er schleunigst weiter. Als er bemerkte, dass ihm Katalin folgte, beschleunigte er seinen Schritt.
Katalin hielt ihn fest. "Warum laufen Sie denn vor mir weg?", fragte sie.
"Achhh... Was habe ich schon groß mit Ihnen am Hut! Leben Sie wohl!" Vadim rückte seinen Hut zurecht und lief eilig weiter.
"Warten Sie! Wo wollen Sie hin?" Katalin schien nicht nachlassen zu wollen.
Vadim sah sich nach einem Fluchtweg um. Katalin machte ihn sehr nervös. Plötzlich bog er blitzschnell um eine Ecke. Er stieß mit jemandem zusammen. "Entschuldigen Sie", sagte Vadim schnell. Er sah sich um. Katalin schien nicht bemerkt zu haben, wie er abgebogen war. Dann widmete er sich dem, mit dem er zusammengestoßen war. Er war schätzungsweise einige Jahre älter als Vadim selbst und trug eine große Aktentasche mit sich. Er machte einen sehr intelligenten Eindruck. "Brauchen Sie Hilfe?", fragte Vadim, der befürchtete, sein Gegenüber wäre ihm ranghöher.
"Neinnein! Warum hatten Sie es so eilig? Ich erlebe selten, dass Menschen so schnell in eine Gasse abbiegen wie Sie.", sagte der aber nur.
Vadim zögerte.
"Nur keine Sorge! Ich erzähle es ja niemandem weiter. Ich merke schon, Sie gefallen mir! Mich können Sie wie einen Freund behandeln. Mit Vornamen heiße ich Ladislav."
"Vadim", sagte Vadim unsicher.
Vadim freundete sich tatsächlich mit Ladislav an.
Eines Tages saßen sie gemeinsam an Vadims Schreibtisch. Sie waren gerade dabei, die Briefmarken eines eben per Post gekommenen Briefes zu studieren, der an Vadim adressiert war. Auf den Briefmarken war der Kaiser Franz Joseph abgebildet. Vadim Holte den Brief aus seinem Umschlag und las vor:
Ich bin gerade in Prag.
Hier gefällt es mir sehr gut. Meine Schwester Ilona ist nicht mitgekommen. László schon, er ist jedoch heimlich nach Budapest abgebogen. Wenn ich welche auftreiben kann, bringe ich Souvenirs mit. Ich werde auch versuchen, eine Postkarte zu schreiben.
Morgen besuche ich die Karlsbrücke. In Prag gibt es viel zu sehen.
Wenn Sie Zeit haben, kann ich Prag nur empfehlen. Tut mir leid, dass ich einfach so abgereist bin.
Viele Grüße
Katalin
Vadim legte den Brief zusammen und steckte ihn wieder zurück in den Umschlag.
"Ich hoffe, Lászlós kleiner Betrug wird nicht entdeckt" Ladislav faltete die Hände.
"Prag. Sie ist nach Prag gegangen.", murmelte Vadim ungläubig.
"Das stimmt! Endlich bist du sie los!" Ladislav klopfte ihm herzlich auf die Schulter.
"Ja... Aber sie ist nach Prag gegangen!"
"Bedauerst du das etwa? Hasst du sie vielleicht doch gar nicht so, wie du ständig vorgibst, ha?" Ladislav schmunzelte.
Vadim warf ihm einen tadelnden Blick zu. "Nein, das ist es ja nicht... Die Stadt Prag... Ich habe immer von Prag geträumt..."
"Na, dann los, du Träumerchen! Packen wir die Koffer! Fahren wir nach Prag zu deiner Traumstadt!" Ladislav sprang auf. Vadim folgte ihm.
Der Zug nach Prag fuhr ab. Die Reise begann.
Als sie angekommen waren, suchten Vadim und Ladislav nach Katalin. Sie hatten per Post mit ihr abgesprochen, dass sie nachkommen würden. Katalin hatte ihnen daher auch schon Zimmer in der Herberge, in der auch sie für diese Zeit wohnte, reserviert und für alle Notfälle vorgesorgt.
"Wo steckt sie denn jetzt, diese, deine!" Ladislav wurde ärgerlich.
"Da kommt sie schon." Vadim sah Katalin bereits auf ihn und Ladislav zukommen.
Katalin begrüßte die beiden. Sie schüttelten einander die Hand.
Ladislav war ein wenig verunsichert, daher schaute er ständig nervös und Hilfe suchend zu Vadim, der auch angespannt war, es sich jedoch (zumindest Versuchsweise) nicht anmerken ließ.
Schließlich fragte Katalin sie: "Was führt euch hierher?", woraufhin sie schnell hinzufügte: "Und wie geht es euch?"
Vadim schluckte nervös. Er sah sich kurz um. "Danke, gut.", sagte er dann mit gesenktem Blick.
"Sehr gut! Kommt mit!" Katalin führte Vadim und Ladislav zur Unterkunft.
Angekommen ließ sie sie ihn allein. Ladislav starrte Vadim an. "Weshalb duzt sie uns?", fragte er.
"Das ist mir auch aufgefallen." Vadim sah sich ratlos um. Er stand auf, setzte sich aber gleich darauf wieder. "Sollen wir ihr sagen, dass uns das stört? Wir können sie ja gewiss auch einfach selbst duzen."
Ladislav verschränkte die Arme vor der Brust und atmete laut aus. "Was vermutest du denn, lieber Freund? Schließlich mag ich nicht einfach ein fremdes Mädchen duzen."
"Nun... Wir sollten uns ihr womöglich eher nicht anpassen, richtig?", vermutete Vadim zögerlich.
Ladislav nickte. Er stand auf und ging schnellen Schrittes zur Tür. Sie traten hinaus.
"Worüber habt ihr die Ehre, mit mir zu sprechen?", trällerte Katalin.
Vadim räusperte sich und schaute zu Ladislav. Schließlich erklärte er: "Da mein Freund und ich... Klarheit haben möchten, haben wir uns entschieden, etwas zu beraten." Er achtete sehr darauf, Katalin dabei weder zu siezen, noch zu duzen.
"Und worum handelt es sich bei unserer Beratung?"
"Hören Sie bitte schleunigst damit auf, uns zu duzen.", presste Vadim hevor.
"Wieso denn, wenn man fragen darf?"
"Das stetig wachsende Unbehagen meines Freundes... bereitet mir große Sorgen. Auch ich persönlich finde es außerdem unangemessen, dass Sie uns duzen.", stotterte Vadim. Ladislav nickte.
"Na schön. Aber nun gut. Dann... siezen wir Einander eben, so wie Sie es zu wünschen gedenken." Katalin entfernte sich in die Richtung der Unterkunft, welches ihr Vadim und Ladislav im Übrigen gleich taten.
"Die Moldau... Seit Jahrhunderten fließt sie hier durch Prag. Ladislav, du kannst wohl verstehen, wieso ich hierher wollte." Vadim sah auf den 430 km langen Fluss herab, den längsten Strom des heutigen Tschechien. Er lehnte über der Mauer der Karlsbrücke. Ladislav stand etwas abseits, sein Gesicht war von einer seltsamen, verhüllenden, maskenhaft steifen Miene eingenommen. Katalin lehnte ebenfalls wie Vadim an der Mauer und ließ ihren Blick auf das blaugraue Gewässer fallen. "Die Moldau ist schön!", sagte sie.
Vadim nickte. "Sie haben recht."
Katalin rückte dichter. "Sie trafen eine gute Entscheidung, als Sie beschlossen, mir hierhin zu folgen."
Wieder nickte Vadim. "Das stimmt."
Ladislav wandte sich völlig von ihnen ab. Er konnte nicht ertragen, wie sie da sprachen und lehnten und sich einander zuneigten. Er stützte sich auf die gegenüberliegende Mauer der Brücke. Wohl oder übel griff er schließlich in sein Portemonnaie und warf eine Münze in die Strömung. Abgesehen von Katalin und Vadim mochte er es hier. Er würde wiederkommen.
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